Es ist spürbar mehr geworden: Ich habe nahezu täglich Menschen am Telefon, die verzweifelt auf der Suche nach einem krankenkassenfinanzierten Psychotherapieplatz sind. Die Not ist groß, der Bedarf ebenso und der Geduldsfaden ist oft dünn. Es kommt zu einer Absage nach der nächsten und manchmal rufen Therapeuten nicht einmal mehr zurück. Auch die Servicenummer der kassenärtzlichen Vereinigung, mit der eine zeitlang Hilfe gut möglich war und freie Plätze verteilt über die gesamte Stadt vergeben wurden, lassen manche Anrufer*innen inzwischen wenig ermutigt zurück.
Wenn ich dann im Gespräch auch noch mitteile, zwar Kapazitäten zu haben aber nur mit Selbstzahlern zu arbeiten, bekomme ich nicht selten den aufgestauten Frust zu hören. Ich habe dafür vollstes Verständnis.
Manch einer hat die Mittel, sich angesichts eines schier hoffnungslos verstopften Systems im Gebiet der kassenfinanzierten Psychotherapie selbst zu helfen und als Selbstzahler einen Platz zu finden, dann sogar mit einem erweiterten Kreis von psychotherapeutischen Richtungen, wie der Gestalttherapie beispielsweise. Dies ist im Kern mein Feld, um das ich mich in freier Praxis kümmere.
Ich kann mir in meiner freien Tätigkeit genau überlegen, mit wem kann, mit wem möchte ich arbeiten. Und da ich nur mit einem Bein in "freier Gestalt" unterwegs bin, im Grunde absolut frei. Ich arbeite ausschließlich mit Menschen, mit denen ich arbeiten möchte und ich mich in der Lage sehe, zu arbeiten. Die Kolleg*innen mit einem Kassensitz haben formal diese Freiheiten nicht. Sie haben laut Gesetz ja einen Versorgungsauftrag und können nicht so frei entscheiden. Außerdem haben sie im Gegensatz zu Therapeuten in freier Praxis meist nur einen einzigen Auftraggeber, nämlich die KV, aber die Frage der Scheinselbständigkeit möchte ich hier gar nicht stellen...
Ganz offenbar reicht aktuell die vorhandene Anzahl von Kassensitzen nicht aus, um der Nachfrage gerecht zu werden. Das ZDF Magazin Royale widmete dem Thema am 04. Februar eine ganz Sendung, stellte die Lage in satirischen Tönen sehr gut dar und berichtete von den benötigten zusätzlichen Kassensitzen. Über den Daumen gepeilt dürfte das Gesundheitssystem demnach einen Mehrbedarf von etwas mehr als einer Milliarde Euro haben. Der Ruf nach mehr Geld im System ist das Eine. Eine Frage, die ich mir zuletzt immer häufiger stelle, ist die nach einer fairen Verteilung der Mittel. Als Psychologe in einer Kontakt- und Beratungsstelle erlebe ich tagtäglich, dass es einen riesigen Unterschied macht, wie Patient*innen bei der Suche nach einem Therapieplatz aufgestellt sind. Es macht ganz offensichtlich etwas aus, wie eloquent und souverän sich potentielle Patient*innen "verkaufen" können. Und nach meiner Erfahrung ergibt ein größerer Bedarf, ein stärkerer Leidensdruck, keine kürzere Wartezeit. Ganz im Gegenteil. Und hier fange ich regelmäßig an, mich zu ärgern!
Wenn ein Mangel im System besteht und Leistungen ganz offenbar nicht ausreichend zur Verfügung stehen, warum kann dann innerhalb des Systems nicht eine funktionierende Verteilung organisiert werden? Niedergelassene Psychotherapeut*innen sind in dem Augenblick plötzlich ganz eigen- und selbständig... Und es ist verständlich, dass es "stimmen muss" zwischen Patient*in und Therapeut*in, keine Frage. Aber dann müssen Verbünde her, in denen Kassentherapeut*innen ihre Leistungen erbringen und eine gute Verteilung von Patient*innen herstellen können. Für eine gute Versorgung zahlen wir alle mit unseren Beiträgen. Das System gesetzlicher Krankenversicherung ist eben KEIN marktwirtschaftliches, auch wenn es aktuell so dekoriert ist. Es ist ein Solidarsystem! Sorgt für eine faire und solidarische Verteilung!
Bis dahin werde ich weiterhin mit allen Menschen reden, die den Weg zu mir finden. Ich biete gestalttherapeutische Psychotherapie an, für die, die es bezahlen können; ich kann im Einzelfall mit Klient*innen abweichende Konditionen vereinbaren; ich werde weiterhin diejenigen, die auf der Suche nach der Kassenlösung sind, so gut ich kann beraten für ihre weitere Suche.